Im Gegensatz zu Synonymen wie "Erlösung", die von einer einseitigen spiritualistischen Auslegungsgeschichte belastet sind, ist der Begriff "Befreiung" heute eher dazu geeignet, die konkrete geschichtliche und gesellschaftliche Relevanz der biblischen Heilverheißungen zum Ausdruck zu bringen, ohne sie freilich auf rein innerweltliche Utopien einzuebnen. KERN 2013:48f
B. Kern weißt darauf hin, dass es im Ganzen nicht nur um eine intime Wirklichkeit, eine spirituelle Erlösung, geht. Die spirituelle Erlösung, die Vergebung der Sünden durch Jesus Christus und die neue Freiheit in der Wirklichkeit Gottes zu leben ist elementar im christlichen Glauben. Aber es währe fatal hier stehen zu bleiben. Einen cultus privatus prangerte J. Moltmann schon an und neuerdings G. Lohfink indem er kritisch den religiösen Individualismus in seinem Buch darstellt. Das Evangelium hat ebenso die Dimension konkrete Gestalt und Veränderung in unserer Gesellschaft zu bewirken, bzw. es geschieht durch die Mission Gottes. Die Frage ist, ob wir als Christen an diesem Geschehen teilhaben oder am Zeitgeist orientiert diese Kraft des Evangeliums nicht beachten.
Die Theologie der Befreiung (...) hat diese Dimension wiederentdeckt, weil sie sich von der Wirklichkeit berühren ließ. KERN 2013:52Die Theologie der Befreiung erwartet konkrete Veränderung im Hier und jetzt, besonders für die Unterdrückten und Armen. Nicht nur aus Mitleid, sondern aus der biblischen Überzeugung (vgl. Ex 2f; Neh 5,6; Jer 5,28; 22,16; Am 8,4) heraus, dass Gott sich besonders den Armen annimmt und das imperiale System radikal kritisiert (diese Kritik kann in verbaler Form geschehen, sowie in der Gestalt der biblischen Texte und ihrer entsprechenden Erzählform (siehe u.a. Shimon Bar-Efrat; Walter Brüggemann). Hier kommt aber noch eine wichtige Komponente hinzu. Es geht darum die Menschen zu verstehen, denn dies geschieht nach A. Pieris dadurch, wenn der Ort der Armen der bevorzugte Lernort ist (...)
(...) only the oppressed know and speak the language of liberation (...) WROGEMANN 2013:292Viele Ansichten von A. Pieris haben für mich deutliche Grenzen. Aber hier ist ein wichtiger Aspekt angesprochen. Weil das Evangelium auch unsere gesellschaftlichen Strukturen und Systeme kritisiert und verändern möchte, ist eine Solidarität mit den Armen mehr als nur Mitleid. Wer solidarisch für die Armen ist, ist herausgefordert seine Spiritualität und Lebenspraxis in diesem Horizont zu betrachten. Nicht nur das, sondern darüber hinaus bedeutet es als Christen das gegenwärtige System kritisch fragend zu betrachten und zugleich solidarisch mit den Armen und Benachteiligten ein Gegenmodell entgegenzustellen. In dem Sinne ist eine Solidarität mit den Armen mehr als nur Mitleid, sondern es ist Inkarnation.
Ich glaube, dass die Theologie der Befreiung wichtig Aspekte liefert die uns als christliche Gemeinden im wohlhabenden Europa helfen unsere Identität in unserem Kontext zu begreifen. Das hilft uns weiter zu verstehen, dass das was wir jetzt an Wohlstand noch erfahren nicht die Normalität ist. Zugleich kann die Befreiungstheologie in diesem Sinne, auch kein Wohlstandsevangelium befürworten, sondern fordert im Gegenteil die Solidarität mit den Armen und Benachteiligten. Alles andere ist das Produkt eines von der Moderne her geprägten Individualismus. Es gilt die Schere zwischen Arm und Reich zu beheben.
Quelle:
Kern, Bruno 2013. Theologie der Befreiung. Tübingen: A. Francke.
Wrogemann, Henning 2013. Missionstheologie der Gegenwart. Globale Entwicklungen, kontextuelle Profile und ökumenische Herausforderungen. Bd. 2. Gütersloh: Gütersloher.
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