city

city

Sonntag, 17. Mai 2015

Evangelisation und seine neue Herausforderung: Sie haben vergessen,dass sie Gott vergessen haben

Wenn wir uns im 21. Jahrhundert über das Thema Evangelisation Gedanken machen, stehen wir vor großen Herausforderungen. Eine der Herausforderungen ist sicherlich die Feststellung der "erfolgreichen" Evangelisationsveranstaltungen im zweiten drittel des 20. Jahrhunderts und der zunehmenden Frage, wie Menschen heute zum Glauben kommen (bzw. wie wir sie erreichen), wenn attraktionale Veranstaltungen nicht die Antwort sind auf die missionarischen Herausforderungen unserer Zeit.
Ich glaube, dass die Auseinandersetzung uns tiefer führt als bloße methodische Überlegungen wie wir durch konzeptionelle Programme die Menschen erreichen. Ich glaube die Beschäftigung mit diesem Thema führt uns in tiefere Bereiche der christlichen Spiritualität und kirchlicher Praxis.
Im Laufe meiner Studien bzgl. meiner Dissertation (Mth) bin ich über ein Buch gestolpert, wo es um das kulturelle Gedächtnis von frühen Hochkulturen geht. Jan Assmann verweist in seinen Vorüberlegungen auf den französischen Soziologen Maurice Halbwachs:
"Gedächtnis wächst dem Menschen erst im Prozeß seiner Sozialisation zu. Es ist zwar immer nur der Einzelne, der Gedächtnis "hat", aber dieses Gedächtnis ist kollektiv geprägt. Daher ist die Rede vom "kollektiven Gedächtnis" nicht metaphorisch zu verstehen. Zwar "haben" Kollektive kein Gedächtnis, aber sie bestimmen das Gedächtnis ihrer Glieder. Erinnerungen auch persönlicher Art entstehen nur durch Kommunikation und Interaktion im Rahmen sozialer Gruppen. Wir erinnern nicht nur, was wir von anderen erfahren, sondern auch, was andere uns erzählen und was uns von anderen als bedeutsam  bestätigt und zurückgespiegelt wird. Vor allem erleben wir bereits im Hinblick auf andere, im Kontext sozial vorgegebener Rahmen der Bedeutsamkeit. Denn "`es gibt keine Erinnerung ohne Wahrnehmung`" (1985 a, 365) (...) Wenn ein Mensch - und eine Gesellschaft - nur das zu erinnern imstande ist, was als Vergangenheit innerhalb der Bezugsrahmen einer jeweiligen Gegenwart rekonstruierbar ist, dann wird genau das vergessen, was in einer solchen Gegenwart keinen Bezugsrahmen mehr hat." (Assmann 2007:36)
Wir reden heute von einer pluralistischen Gesellschaft, unterschiedlichen sozialen Gruppen die, nach Hempelmann, in weitgehend voneinander separierten Lebenswelten existieren (Hempelmann 2012:40) und dass die Kirche nicht mehr das Monopol dieser Gesellschaft ist. Für viele Menschen bedeutet das, dass der christliche Glaube und die Kirche durch soziologische und historische Entwicklung nicht mehr zu ihren Lebensentwürfen gehört, geschweige denn ein Teil der Liste für mögliche Optionen für ihr Leben ist. Dabei gehe ich nicht von einer bewussten Ablehnung aus, sondern viel mehr von der neuen Gegebenheit, dass die Menschen vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben, was die missionarische Herausforderung auf ein nächstes Level schiebt.
In kann mich noch gut an meine Teenagerzeit erinnern, bevor ich überhaupt irgendwie in Kontakt mit dem christlichen Glauben kam. Gott, Kirche, Gebet war zu keiner Zeit ein Thema in meinem Leben. Darunter konnte ich mir nichts vorstellen, bzw. habe ich mir auch nichts vorgestellt, weil ich schlicht und ergreifend keinen sozialen Bezugsrahmen hatte. An was hätte ich mich denn erinnern sollen?
"Das Gedächtnis lebt und erhält sich in der Kommunikation; bricht diese ab, bzw. verschwinden oder ändern sich die Bezugsrahmen der kommunizierten Wirklichkeit, ist Vergessen die Folge." (Assmann 2007:37)
Meine Geschichte liegt ca. 16 Jahre zurück. Wie steht es um die Generationen und unterschiedlichen Kulturen heute, wo die Kirche mehr und mehr eine eigenen Subkultur bildet und der christliche Glaube für die meisten Menschen unseres Landes nicht mal Ansatzweise im Gedächtnis ist?
Die Aufgabe der Kirche ist es, den christlichen Glauben und die ganze Schönheit des Evangeliums in das Leben der Menschen zu bringen. Es geht darum Bezugsrahmen zu schaffen, in denen die christliche Story neu erzählt und für die Kultur in der wir leben kommuniziert werden muss. Anstatt unsere Position am Rand der Gesellschaft zu akzeptieren und einen religiösen Individualismus (Lohfink 2015:14) zu pflegen besteht die Herausforderung nach Michael Frost darin:
"(...) to learn ways to bodily embrace this task, to physically wade into the brokenness of humankind and alert people to the universal reign of God through Christ." (Frost 2014:88) 
Lasst uns mutig sein Neues zu wagen, soziale Räume und alternative Gemeinschaften zu schaffen in denen Kommunikation und Interaktion stattfinden. Erfahrungen, Reflexionen und das Erleben des Evangeliums - gehört in den öffentlichen Raum. Lasst uns mit gestalten und uns nicht verstecken, sondern mutig daran glauben, dass Gott mit seiner Mission unserem Land wieder Leben einhauchen möchte durch Christus der uns gelehrt hat, was es bedeutet wahrer Mensch in einer zerbrochenen Welt zu sein.
Ich träume von einer Kirche die den christlichen Glauben verkörpert (inkarniert) nicht in einem Gebäude, sondern unter und mit den Menschen, anstatt ihn zu privatisieren (exkarnieren). Denken wir über die Evangelisierung unseres Landes (und darüber hinaus Europa) nach, müssen wir beginnen den Menschen wieder einen Bezugsrahmen zu schaffen der es ermöglicht die christliche Story zu pflanzen.
Ich bin meinem Jugendreferenten von vor 16 Jahren sowie allen Teilnehmern der damaligen Zeit dankbar, dass ich eine solche alternative Gemeinschaft erleben konnte, wo ich einen Bezugsrahmen hatte in dem ich die Schönheit des Evangeliums erlebte und die ganze Sache mit Bibel, Kirche und Gott dann doch irgendwann Sinn für mein Leben machte.

(...) dem Gott, der allein weise ist, sei Ehre durch Jesus Christus in Ewigkeit! Amen. (Römer 16,27)


"(...) teach the world a new way to be human." (Frost 2014:62)



Quellen: Assman, Jan 2007. Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. Mücken: C.H. Beck.

Hempelmann, Heinzpeter 2012. Gott im Milieu. Gießen: Brunnen.

Lohfink, Gerhand 2015. Wie hat Jesus Gemeinde gewollt? Kirche im Kontrast. Stuttgart: kbw.