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Freitag, 12. Februar 2016

Madeleine Delbrel - Pionierin und Praktikerin in der Zeit der Säkularisierung

In den letzten Tagen habe ich das Buch von Madeleine Delbrel Gott einen Ort sichern gelesen. Aufgrund der Thematik und der einmaligen Art und Weise wie Delbrel schreibt, habe ich das Buch innerhalb von zwei Tagen verschlungen.

Delbrel: Pionierin und Praktikerin in Zeiten der Säkularisierung

Delbrel lebte von 1904-1964 in Ivry in der Nähe von Paris, wo sie eine kleine Gemeinschaft gründete die als eine verortete Gemeinschaft die atheistische Umwelt und die zunehmende Säkularisierung durchlebte. Sie schreibt:
In Frankreich hat die Trennung von Kirche und Staat dazu geführt, dass öffentliche Angelegenheiten eine Sache des Staates sind (...)
Wovon Lesslie Newbigin schrieb, als er von seiner Missionstätigkeiten in Indien zurückkehrte, ist in den Praxiserfahrungen von Delbrel greifbar. Delbrel erkannte auch sehr schnell, dass die kirchliche Entwicklung in diesem Zuge eine falsche Richtung einschlug:
Das kommunistisch-atheistische Milieu wurde als eine Gefahr für den Glauben betrachtet, der gegenüber es sich abzugrenzen galt.  DELBREL 2015:108
Delbrel widmete sich jedoch nicht der Aufgabe die damalige Kultur und den gesellschaftlichen Wandel soziologisch und politisch zu analysieren, sondern zeigt eigentlich, wie ein christliches Leben unter diesen Bedingungen geführt werden kann. Sie ist eine Pionierin und Praktikerin, die sich zur Aufgabe gemacht hat, das Leben wie es ist anzunehmen und in allen Dingen Gott zu sehen, ihm zu dienen und dem Evangelium treu zu sein (und das vor ungefährt 65 Jahren). Sie schreibt:
So ist unsere Berufung ein Feuer zu sein, das sich in kleinen Funken versprüht und alles anzündet, was ihm unterwegs an Brennbarem begegnet.  DELBREL 2015:50
Trotz der zunehmenden Säkularisierung und dem atheistischem Umfeld, hat sie Hauptamtliche und Laien stets dazu aufgerufen "(...) nach neuen Weisen der Evangelisierung suchen zu müssen." Ihr ging es darum, die "(...) ursprüngliche missionarische Dimension wiederzufinden, "Missionare ohne Schiff" zu werden - vor der eigenen Haustür und im eigenen Lebensumfeld." (:109) Eine atheistische Umgebung stellt uns vor die Wahl, entweder zu missionieren oder zu demissionieren, den Glauben zu verkündigen, oder zu gehen. Delbrel steht für den Optimismus, für den Glauben und die Treue ihre Aufgaben im Hier und Jetzt zu leben und zu vertrauen, dass der souveräne Gott auch in diesen Zeiten seine Geschichte schreibt. "Eine atheistische Umgebung muss christianisiert werden." (Delbrel 2015:114) schreibt sie.
Delbrel ist es gelungen ein dualistisches Bild zu überwinden und nicht zwischen profan und sakralen Orten zu unterscheiden. Gott ist in der Welt, so wird jeder Ort zu einem Ort des Dienstes, zu einer spirituellen Erfahrung und einem heiligen Spielfeld der Mission Gottes.

Eine wahrhaft inkarnatorische Gemeinschaft

Delbrel und ihrer Gemeinschaft war es wichtig unter den Menschen zu sein. Die Gemeinschaft wurde von der Realität geformt, weshalb sie jeder Zeit zum Aufbruch und jeden gesellschaftlichen Wandel bereit waren, "(...) um uns im gleichen Rhythmus wie die menschlichen Entwicklungen zu entwickeln." (:88)
Der Gehorsam bedeutet für uns Leute von der Straße auch, dass wir uns den Trends unserer Zeit anpassen, solange sie harmlos sind: Wir tragen das, was alle tragen, tun das, was üblich ist, sprechen die Sprache, die alle sprechen. DELBREL 2015:74
Ein solches Leben ...
(...) mitten unter den Menschen zu leben, in einer Lebensform, die sich rein äußerlich gesehen nicht vom Leben der "Leute von der Straße" unterscheidet.  DELBREL 2015:81 
Den besonderen Wert eine solchen "inkarnatorischen" (inkarnatorisch ist meine persönliche Zufügung zur lebendigen Gemeinschaft Delbrels) Gemeinschaft, die in vollkommener Liebe gelebt wird (...)
(...) ist wie ein Streichholz, auf das man kaum verzichten kann, wenn man ein Feuer anzünden will unter den Menschen, die uns umgeben.  DELBREL 2015:83 
Das Evangelium verkündigen und kontextualisieren

Unter Verkündigung versteht Delbrel:
Menschen, die das noch nicht wissen, sagen, wer Christus ist, was er gesagt hat, was er getan hat - und zwar auf eine Weise, die sie verstehen können.  DELBREL 2015:116
Delbrel war eine Frau die ihre Kultur und deren Menschen kannte. Diese Kenntnis ist sicher ein Produkt ihrer Präsenz, ihres Daseins in mitten dieser Welt.
Es handelt sich um Leute, die - ob sie nun getauft sind oder nicht - mit dem Evangelium nicht in Berührung gekommen sind und nicht wissen, was ein glaubender Mensch glaubt. Es handelt sich um die, von denen Paulus sagt: "Wie sollen sie glauben, wenn man sie nicht evangelisiert?"
Das evangelisieren ist bei Delbrel jedoch nicht auf das reine Wort und die Frontalverkündigung zu reduzieren. Wenn Delbrel von evangelisieren spricht, muss dies in der stetigen Präsenz, Identifikation und Nähe zu ihrem Umfeld gesehen werden. Sie war als Frau "Missionary to the West", die den Wandel der Gesellschaft erkannte, und von ganzen Herzen in diese Gesellschaft eintauchte, um in ihr das Evangelium zu pflanzte.

Bekämpfung von Not und Ungerechtigkeit als Aufgabe des christlichen Lebens

Die jeweilige prophetische Kritik am gesellschaftlich-politischen Zeitgeschehen war für Delbrel eine Notwendigkeit, wenn man dem Evangelium treu sein wollte. Sie hatte eine starke Wahrnehmung des Elends, es ging ihr fast wörtlich unter die Haut (vgl. Matthäus 9,36). Die Nachfolge Jesu muss sich im Kampf gegen Elend und Unrecht konkretisieren. Nach Delbrel sind Christen zur prophetischen Kritik aufgerufen (:95).
Kann man allen Ernstes und mit wirklicher Hoffnung auf Erlösung der Welt hoffen, ohne leidenschaftlichen Herzens das Unrecht in der Welt und seine Folgen enden sehen zu wollen (...)  DELBREL 2015:102 
Delbrel engagierte sich leidenschaftlich für die Benachteiligten und denen die am gesellschaftlichen Unrecht leiden. Sie sah aber auch die tieferen Probleme, wo es um die "(...) Entlarvung der Sünde, die sich auch in Unrechtsstrukturen niederschlägt" (:96) handelt.

Kritik an der Kirche

Die Krise der Kirche Europas definierte Delbrel sehr treffend:
Lautlos naht der Kirche eine Grundgefahr: die Gefahr einer Zeit, einer Welt, in der Gott nicht mehr geleugnet, nicht mehr verfolgt, sondern ausgeschlossen, in der er undenkbar sein wird; einer Welt, in der wir seinen Namen herausschreien möchten, es aber nicht können, weil uns kein Plätzchen bleibt, um unsere Füße hinzustellen.  DELBREL 2015:154
Daher muss die Kirche, und es ist ihre Verantwortung, einen neuen Einklang zwischen den Menschen und den Glauben suchen, zwischen Evangelium und Kultur (vgl. Newbigin). Des Weiteren muss die Kirche stetig neue Formen annehmen (kirchlichen Kontextualisierung). Die Form ist wie ein Kleid. Wenn die Zeiten sich wandeln, ist ihr Gewand abgetragen. "Sie muss neue Kleider bekommen (...)" (:154). "Dabei sind wir nicht gezwungen anders zu glauben, sondern anders zu leben" (:155)!
Eine weitere Problematik sieht Delbrel darin, dass der Glaube zu einer Wohlanständigkeit geworden ist. Damit bezieht sie sich auf die innere Spiritualität und Lebendigkeit:
Ein Glaube, den wir zu einer "Wohlanständigkeit" haben werden lassen, beschränkt sich in uns auf eine rein menschliche Mentalität. Wir können ihn anderen nicht mehr als Menschen vermitteln, die einen Schatz umsonst erhalten haben und ihn teilen möchten ... Wir verkündigen nicht mehr die "Gute Nachricht" des Evangeliums, weil es keine neue Nachricht mehr für uns ist: Wir sind daran gewöhnt, es ist eine alte Nachricht geworden. Der lebendige Gott ist kein ungeheures, umwerfendes Glück mehr; er ist etwas, was uns zusteht, der Hintergrund unseres Daseins.  DELBREL 2015:123
Delbrel, Gott einen Ort sichern, spricht daher aktuell in unsere Zeit und gibt als Praktikerin in einem säkularisierten Umfeld eine praktische Antwort um Evangelium und Kultur in Beziehung zu bringen und neue Wege zu den Menschen zu finden, die vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben.

Zum Schluss:
O Gott, wenn du überall bist, wie kommt es dann, dass ich so oft woanders bin.  DELBREL 2015:57 


Ich bin mir bewusst, dass die Auswahl und Zusammenstellung der Zitate nicht ohne individueller Wertung geschehen kann.